NASCAR 124 – Oder: Warum man keine Feinde braucht, wenn man Slotfreunde hat
Sonntagmorgen, 17:30 Uhr
Durch Zufall fällt mir eine eMail seiner Unfehlbarkeit, dem gütigen Rennserienchef persönlich, in die Hände. Die Mail hat zwar bereits einige Zeit in meinem Posteingang vor sich hin oxidiert, aber man kommt ja zu nichts mehr.
Wie auch immer, in gewohnt eloquenter Ansprache weist der Allmächtige darauf hin, dass überraschend ein bundesweiter Feiertag angesetzt wurde und dass aus diesem Grund das ursprünglich für Donnerstag geplante Rennen der NASCAR 124 Serie schon am Dienstag stattfinden würde.
Vier hin, drei im Sinn – das klingt nach ungefähr 48 Stunden. Und schon drei Espressi (vulgo: Expressos) später erwacht der Killerinstinkt in mir. 48 Stunden, um ein halbwegs fahrfertiges Auto auf die Räder zu stellen. Bei den letzten Rennen hat sich nämlich bei meinem Gen-6 Chevy herausgestellt, dass „schön“ nicht zwangsläufig auch „schön schnell“ bedeutet.
Also mal nachgesehen, was an Optionen am Lager ist.
Da wäre ein Body vom 2007er „Miller Lite“ Dodge, den ich kurz nach dem singalesischen Unabhängigkeitskrieg gebaut hatte. Und ein Thunder-Chassis, das schon unter diversen ‘89er und ‘90er Grand Prixs seinen Dienst verrichtet hat. Ein bisschen abgerockt, aber komplett.
Et läuft…
Da mir die Halteplättchen für die Karosseriebefestigung fehlen, stellt unser CFO mir diese ungewohnt selbstlos zur Verfügung. Das scheint verdächtig, mir fehlt jedoch die Zeit, die wahren Absichten zu ergründen.
Moosgummi für die Bodybefestigung habe ich noch. Allerdings nur in diversen, kleinen Stücken. Wozu gibt es einen Pritt-Stift…?
Montag, 22:45 Uhr
Der Zusammenbau geht überraschend schnell von der Hand, am Montagabend sind die beiden Moosgummiklötze schon in den GFK-Body geklebt. Jetzt muss nur noch das Inlet rein.
Da gutes Zureden nicht reicht, muss körperliche Gewalt an dessen Stelle treten.
Und während ich das Inlet in die dafür vorgesehene Aussparung drücke, beginnt die Lexanwanne zwischen meinen Fingern zu zerbröseln. (Gestern wurde ich zu fortgeschrittener Stunde übrigens darüber belehrt, dass das an der Aufbewahrung in einem Schrank liegen kann, der Formaldehyd ausdünstet. Aha.)
Um das Inlet nicht in einer Schütteltüte in die Karosserie legen zu müssen, zünde ich die Geheimwaffe – Ponal Express. Der Modellbau-Spezialkleber, wenn nichts mehr geht.
Dass wegen des flächigen Auftrags des Kleisters bei der Abnahme unqualifizierte Unterstellungen folgen würden, ist mir bereits jetzt klar. Damit muss ich leben.
Dienstag, irgendwann nach Sonnenaufgang
Leider kommen immer wieder unwichtige Nebensächlichkeiten dazwischen. Kunden, die mit Aufträgen drohen oder Fragen haben, die auf der Prioritätenskala deutlich hinter einem Spielzeugauto stehen. Zumindest jetzt. Schließlich drängt die Zeit.
Gegen Mittag tropft eine weitere Leim-Line am Inlet unschuldig vor sich hin, so dass ich mich um das Chassis kümmern kann.
Die Reifen sehen aus, als hätte Barny Geröllheimer sie im vorletzten Herbst in den Hinterhof geworfen. Das stört mich nicht, immerhin sind es vier Stück, sie sind schwarz und sie scheinen noch halbwegs die richtige Größe zu haben. Passt.
Motor ist noch drin, der Leitkiel ebenfalls. Irgendwas fehlt aber. Ah, die Verbindung zwischen Schleifern und Motor! Mist, wir haben ja Poolmotoren. Also muss ein Stecker rein. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? In der alten SLP-Schlurre steckt noch einer, also rasch mal transplantiert, getestet, läuft.
Auf das Trocknen des Klebers kann ich nicht mehr warten, da es mittlerweile später Nachmittag ist und die Fahrzeugabnahme näher rückt. Also den ganzen Kram zusammengepackt und auf in Richtung Vereinsheim.
Dienstag, 18:40 Uhr
Im Renncenter erwartet mich bereits eine ausgelassene Stimmung tiefenentspannter Spielkinder.
Die scheinen entweder nicht zu arbeiten oder alle Zeit der Welt zu haben, um rechtzeitig ihre Autos zu bauen…
Ich setze mich erstmal hin, um meinen Renner fertigzubauen. Der Holzleim tropft zumindest nicht mehr. Wofür das „Express“ hinter dem Ponal steht, bleibt mir allerdings ein Rätsel.
Als ich den Body auf das Fahrwerk schraube, fällt mir auf, dass die Vorderräder sich nicht drehen. Das ist werksseitig so nicht so vorgesehen, glaube ich. Und könnte sich außerdem negativ auf die Rundenzeiten auswirken.
Mein fachmännischer Blick sagt mir, dass die Räder oben am Innenkotflügel schleifen. Und das, obwohl ich die Karosserie schon auf maximale Höhe gesetzt habe. Hmpff…
Den Dremel habe ich natürlich nicht dabei, also muss das gute 80er Papier ran, damit die Carbon-Rovings weggeschliffen werden können. Die sollen zwar Stabilität bringen, die muss sich jetzt aber dem Dreh-Drang der Räder unterordnen. Also schleife ich wie ein Mann und atme brav den Carbonstaub weg, bis die Vorderräder das tun, was sie sollen. Sich drehen.
A propos drehen. Der Herrscher über die Glückswaage dreht inzwischen ein wenig am Stressrad und macht Druck. Als mein Auto endlich auf dem Abnahmetisch landet, mäkelt der Makellose wie erwartet über meine Leim-Orgie und bezichtigt mich der Vorteilsnahme. „Lass ihn reden“, denke ich mir und äuge angespannt auf die taiwanesische Glückswaage. Toll, knapp 3 Gramm zu wenig! Ein Stück Blei abgebissen (das harmoniert gesundheitlich ganz hervorragend mit dem Carbonstaub) und schon passt es.
Dienstag, einen Tick später als sonst
Die Qualifikation beginnt. Und das zarte Pflänzchen Hoffnung stirbt.
Lienhard fährt um den Kurs, als kenne er eine Abkürzung und düpiert die übrigen Qualifikanten mit Zeiten jenseits des Flux-Kompensators. Dass C-Ps Laune dadurch nicht glockenhell und rosarot wird, zeigt sich ebenfalls. Sei’s drum, wir sind ja zum Spieleabend hier.
Dass so ein Spieleabend auch schnell kippen kann, zeigt sich im anschließenden Rennen.
Während ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten bemühe, mit wenigen Spurwechseln meine Runden zu ziehen, sehe ich mich den niederträchtigsten Kommentaren zu meinem Auto ausgesetzt. Allen voran der heckgeschleuderte Herrenfahrer mobbt mich fortwährend und der eine oder andere stimmt frohlockend in den Reigen ein.
So wird mein champagner-goldenes Gehäuse um Kurt Busch immer wieder als Rentner-Beige bezeichnet und selbst der besonnene Klaus spart nicht mit Vorschlägen in Richtung Wackeldackel und Klorollen-Häkelüberzug.
Nur meiner gefestigten Konstitution ist es zu verdanken, dass ich nicht schon während des Rennens weinend zusammengebrochen bin. Und dabei hat Joachim, wahrscheinlich wegen seiner spontanen Rückenschmerzen, noch nicht einmal das übliche Bumpdrafting gespielt.
Kerstin ergeht es nicht viel besser, muss sie sich nicht nur mit Klaus’ Backup-Auto zufriedengeben. Zudem verlässt sie meist an jener Stelle die Bahn, an der Klaus mit Darth-Vader-Blick den Einsetzer macht. Trotz dieses Drucks schlägt sie sich aber sehr gut.
Dass stille Wasser tief sein können, beweist Lutz. Er hält sich als einziger nicht nur mit dissenden Sticheleien zurück sondern zieht zudem vollkommen unbeirrt seine Runden.
Der Präsident erscheint heute in majestätischem Silber, scheint jedoch ein wenig unkonzentriert und landet das eine oder andere Mal auf dem Randstreifen. Das ist selbstverständlich durch den Umstand zu erklären, dass es schon eine übermenschliche Anstrengung ist, gleichzeitig zu herrschen und dann noch gemeinsam mit dem Pöbel zu fahren. Wo er doch ansonsten in der Sänfte durch die Hallen getragen wird.
Im zweiten Lauf tritt die versammelte Prominenz zum elitären Stelldichein auf den Plan.
Die Goldbach-Sippe, C-P, Ricardo und Klaus lassen ihre elektrischen Muskeln spielen.
Lienhard hält sich nicht groß mit höflichem Vorgeplänkel auf sondern zeigt rasch mal eben, wo der Frosch die Locken hat. Und die sind bei 8,39 Sekunden. Nein, wir reden hier nicht von SLP oder Scaleauto. Wir sind bei NASCAR 124. Gebogene Blech-Chassis’ mit Hochhäusern obendrauf! Naja, so kann man sich auch beliebt machen…
C-P sucht den Grund für seinen Rückstand natürlich beim Material, schimpft über den Motor und treibt sein Dixi mit Schweißperlen (nicht nur) auf der Stirn um die Queen Lui.
Ricardo kennt so etwas wie Abflüge anscheinend gar nicht. Er fährt mit seinem Ford fort, erreicht durch seinen Hauptsponsor Viagra den Zenit seiner Leistungskurve und klemmt sich am Ende wenige Bahnzentimeter hinter C-P.
Klaus ist wieder mit seinem zitronengelben Smarties-Flitzer unterwegs, zwingt mit seinem Konrad-Zuse-Gedenk-Regler die regionale Stromversorgung in die Knie gibt den Jack Sparrow des Rennens. Keine Gefangenen…
Bernhard schreckt noch nicht einmal vor Kinderarbeit zurück und lässt sich das Einsatzfahrzeug ready-to-win auf die Bahn stellen. Das zeigen auch seine Rundenzeiten, so sind 8,5er Zeiten nicht die Ausnahme bei ihm. Im vorletzten Stint wird er jedoch in einen Unfall verwickelt und rast fortan mit einem Aufklapp-Auto weiter. Unbeirrt und ebenso schnell wie vorher.
Dienstag, irgendwann am späteren Abend
Die Schlussabrechnung ist schnell gemacht.
Lienhard hat gefühlt doppelt so viele Runden wie alle anderen auf der Uhr und gewinnt souverän. C-P kommt mit acht Runden Rückstand (das liegt bestimmt am Motor…) auf den zweiten Platz, während Ricardo mit anderthalb Geodreick-Längen Abstand auf den dritten Platz des Treppchens steigt.
Die übrigen Resultate sind in der farbenfrohen Ergebnistabelle verewigt.
Ich werde die nächsten Wochen, sofern die Zeit zwischen den Therapiesitzungen reicht, dazu nutzen, um mein elegantes Gold-Gefährt fertigzustellen. Allerdings steht da noch ein weiterer Termin im Raum, dessen Einsatzprojekt einen Fertigstellungsstatus von knapp 10% hat…
Dafür, dass der Wagen erst kurzfristig aus PonalExpress gegossen wurde (Björn, es gibt eine neue Fertigungstechnik) lief die Möhre doch ganz gut. Zum nächsten Termin bitte einfach ein nicht lösemittelbehandeltes Inlet einbauen.